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11/02/2004: "Das Lexikon der Zukunft Amerikas"


Passend zu heutigen Wahl hier ein Text der FAZ vom 31.10.04.

Natürlich haben die Vereinigten Staaten eine Zukunft - und Amerikas Schriftsteller hoffen, daß diese Zukunft besser sein möge als die Gegenwart, in der George Bush und seine Leute regieren. Deshalb haben die beiden literarischen Wunderkinder Dave Eggers und Jonathan Safran Foer die Autoren Amerikas aufgerufen, an einem Lexikon der Zukunft mitzuschreiben. An einem Lexikon für ein besseres Amerika. Mit Wörtern und Begriffen aus einer kommenden Welt. Und beinahe alle machten mit. Auf daß am 2. November die Ära Bush zu Ende gehe. Und die Zukunft gut werde.


A
Adulteration, Subst. Amerikanische Bewegung des 21. Jahrhunderts, die sich die Entdeckung des Erwachsenen in uns zum Ziel setzte. Die Gegenbewegung zur äußerst erfolgreichen Bewegung der Entdeckung des Kindes in uns ging auf die Erkenntnis zurück, daß besagtes Kind ein dickköpfiger, verwöhnter Balg ist, der nichts von den Zwängen der Zivilisation hält und äußerst gereizt auf Sinn und Komplexität reagiert. Das zeigte sich in aller Deutlichkeit, als das Kind in uns die Kontrolle über Politik und Medien übernahm. Marshmallow-Creme wurde zur beliebtesten Nahrung, und riesige, spielzeugähnliche Autos beherrschten das Straßenbild. Außenpolitische Erklärungen bestanden fast nur noch aus Wörtern wie Peng!!, Krawumm!! oder Boing!! Wie Kritiker bemerkten, ist das Kind in uns unfähig, mit anderen zu teilen und seine Aufmerksamkeit längere Zeit auf ein Thema zu richten. Marilynne Robinson

American-can, Subst. Tanz, der im frühen 21. Jahrhundert von Bürgern der Vereinigten Staaten entwickelt wurde, die nach einem Ventil für verworrene Gedanken und Gefühle im Zusammenhang mit dem Vaterland suchten (z.B. Liebe und Entsetzen, Herzenskummer und Ungeduld, Zorn und Angst). Der Tanz hat keinerlei Ähnlichkeit mit dem Jingo (im angelsächsischen Raum Ausdruck für "Hurrapatriot"), der leider zur selben Zeit in diesem Teil der Erde populär wurde. Man kann ihn schnell oder langsam tanzen und auch ohne Musik, denn es handelt sich um einen unsichtbaren, nur im Kopf ausgeführten Tanz, an dem der Körper kaum beteiligt ist. Damit trainiert man die Fähigkeit, widersprüchliche Gefühle im Zusammenhang mit Patriotismus auszuhalten (z.B.: "Ich bin glücklich, und ich schäme mich, Bürger der Vereinigten Staaten zu sein"), was wiederum zu positiven staatsbürgerlichen Aktivitäten führen kann ("Ich werde Geld und Zeit für fortschrittliche Ziele aufwenden").
Die ersten Anhänger des Tanzes waren oft in Buchhandlungen zu finden, wo man sie leicht beschwingt in Reiseführern blättern und dem Gedanken nachhängen sah, wie es wohl wäre, irgendwo anders zu leben, in einem Land ohne Jingoisten. Heute sind die meisten Anhänger des Tanzes optimistische Patrioten der skeptischen Art. Sie sind überzeugt, ihr Vaterland kann und wird seine dunkle Seite überwinden, allerdings nur mit viel can-can. Martha Cooley

anti-imperiology, Subst. Erforschung der Entwicklung von Imperien, jeweils von den Anfängen bis zum Niedergang, insbesondere mit dem Ziel, archetypische historische Prozesse umzukehren oder zu vermeiden. Jeffrey Eugenides
appetist, Subst. Ausgeglichener Genußmensch. Wird meist für Frauen benutzt, gelegentlich auch für Männer. Ein Mensch mit einem gesunden Appetit, der sich keine übertriebenen Sorgen wegen seiner Nahrungsaufnahme macht, nicht ständig Schlankheitskuren absolviert und in Maßen alles ißt, was ihm schmeckt. Lynne Tillman

ashcrofted, Adj. Wegen religiöser Irreführung eines öffentlichen Amtes enthoben oder der Ausübung eines öffentlichen Amtes für unwürdig befunden. Geht zurück auf das wegweisende Urteil des Obersten Gerichtshofs im Fall "Das Volk gegen Präsident Ashcroft", welches allen Kandidaten, die einer Religion oder einer anderen organisierten Form magischen, wahnhaften oder psychotischen Denkens anhängen, den Zugang zu öffentlichen Ämtern verwehrt, und zwar mit dem Hinweis auf die in der Verfassung verfügte Trennung von Kirche und Staat. Das Urteil wurde in der Zeit der Wiederherstellung der Verfassung gefällt, die dem dynastischen, "antiterroristischen" oder "neopatriotischen" Zeitalter folgte. Robert Coover

ashcroftian, Adj. 1. aus großer Höhe gestürzt, oft wegen frömmelnder Großtuerei: Dantes Beschreibung des ashcroftischen Sturzes Luzifers dürfte dem Leser in lebhafter Erinnerung geblieben sein; 2. plötzlich als verrückt geltend; verhöhnt von denen, die einen einst fürchteten oder unterstützen; 3. flach, aber melodramatisch inszeniert nach Art der Fernsehwerbung für die Anwaltskanzlei des ehemaligen amerikanischen Justizministers John Ashcroft; ashcrofty, Adj. 1. hinterhältig und doppelzüngig; 2. Sammeln von Daten mit ungesetzlichen oder unmoralischen Mitteln: Mein Chef wurde ganz ashcroftig zu mir. Er fing an, meinen Browser auszuspionieren und meine Telefongespräche abzuhören. Scott Phillips

Axis of evil, Subst. Jede angebliche Atommacht, die geeignet ist, die Aufmerksamkeit vom Haushaltsdefizit abzulenken. Susan Henderson
B
bakin, Subst. Jemand, mit dem man Bacon ißt. Daß Bacon nicht nur als Nahrungsmittel eine wichtige Rolle spielt, sondern inzwischen auch fast jede Form menschlicher Interaktion begleitet, ist eine der größten Ironien in der Geschichte der Gastronomie. Noch in der Mitte des 21. Jahrhunderts schieden sich, was den Verzehr von Bacon betrifft, Christen von Juden, Hindus von Muslimen, Fleischesser von Vegetariern, Gesundheitsfanatiker von Gourmets. Mit dem größten Vergnügen bereiteten jene, die Bacon aßen, ihn in Gegenwart derjenigen zu, die ihn nicht essen durften, seinen Geruch aber doch verlockend fanden. In Kriegszeiten mußten die Gefangenen der einen Seite regelmäßig Bacon essen, während die anderen das Wort nicht einmal in den Mund nehmen durften. Bestrebungen, den sogenannten "Bacon Gap" mittels sojahaltiger Ersatzstoffe zu schließen, waren nur bedingt erfolgreich und hatten keinerlei geopolitische Auswirkungen. Erst nach Abschluß des "Porcine Genome Project" konnte die molekulare Struktur von Bacon isoliert werden. Ein Jahrzehnt später gelang es Wissenschaftlern vom Livermore National Laboratory, einer englischen Gurke die genetischen Aromaträger von Bacon einzusetzen. Das dergestalt entwickelte Gemüse, das heute einfach "bacon" heißt, war nicht nur für Lebensmittelingenieure ein Triumph, sondern gleichermaßen für die internationale Politik. Wenn in Indien und in Nahost der Tag anbrach, kamen Muslime und Hindus, Christen, Juden und Araber, angelockt vom Duft gebratenen Specks, zusammen und setzten sich zum gemeinsamen Essen. Diese Frühstücksbegegnungen bereiteten den Weg für Bündnisse und Verträge, und mit der Zeit wurde Bacon zum Symbol der internationalen Zusammenarbeit, so wie im Europa des 18. Jahrhunderts politische Aufklärung und Kaffee Hand in Hand gegangen waren. Und seitdem die Nordamerikaner unter "Familie" weit mehr als nur den engsten Kreis der Blutsverwandten verstehen, ist der zunächst scherzhaft verwendete Begriff bakin in die Alltagssprache eingegangen. Heute erinnert sich kaum jemand daran, daß Frühstücksspeck einst die Menschheit spaltete, geschweige denn, daß er vom Schwein stammt. Diese Episode zeigt, daß wir nicht das sind, was wir essen, sondern mit wem wir es essen. Paul La Farge

bald-is-beautiful, Adj. Eine Bezeichnung, gewöhnlich für Männer, von deren Haaren nicht viel oder gar nichts mehr übrig ist. Dieser Ausdruck, früher durchaus scherzhaft und in tröstlichem Sinne verwendet, zur Stärkung des Egos glatzköpfiger Männer, wurde 2009 offiziell in das Lexikon aufgenommen, nachdem Schönheitsforscher am Carleton College in Northfield/Minnesota herausgefunden hatten, daß glatzköpfig tatsächlich schön ist. Forschungsgrundlage war eine statistische Analyse von Michael Jordan, dem glatzköpfigen amerikanischen Adler, etlichen Millionen Babys und dem alten Yul-Brunner-Film "Westworld". Weitere Beweise lieferte ein kontrolliertes Experiment, bei dem mehreren tausend Männern der Kopf kahlgeschoren wurde und sich zeigte, daß 78 Prozent dieser bislang eher unattraktiven Männer nunmehr schön waren. Das Ergebnis der Carleton-Studie wurde bestätigt, als Donald Trump, bekannter Finanzier und Bürgermeister von New York (2008-2014), berühmt für seinen schlechten Geschmack und seine Drei-Haarsträhnen-Frisur, sich im Jahr 2009 auf Druck der Vereinten Nationen den Kopf kahlscheren ließ. Fotos von Trump, die weltweit zirkulierten, nachdem er zum Bürgermeister der Hauptstadt des Universums gewählt worden war, führten dazu, daß instabile Personen mit Haarproblemen einen Nervenzusammenbruch erlitten und am Ende eine weltweite Gesundheitskrise ausgerufen werden mußte. Doch kaum hatte sich Trump den Kopf kahlgeschoren, staunte die ganze Welt über seine Schönheit, und nach seiner Amtszeit als Bürgermeister traf er sich oft mit dem bekanntermaßen glatzköpfigen Dalai Lama. Daraus entwickelte sich eine Verbindung zwischen Spiritualität und Akkumulation von Reichtum, die es bislang nicht gegeben hatte und von der nun viele Menschen profitierten - die Armen eröffneten Sparkonten, und die Reichen begannen zu beten und den Armen zu helfen. Dank dieses wunderbaren Zusammenwirkens zwischen dem Dalai und dem Donald wurde das Adjektiv bald-is-beautiful ein anerkanntes Mitglied der englischen Sprache. Jonathan Ames

billion, Zahlw. Hunderttausend Millionen. Früher waren es nur tausend Millionen, doch wurde diese Verwendung durch den Federal Deficit Control Act von 2008 untersagt. Manche Leute rechnen weiterhin nach alten Billionen (die jetzt skillions heißen), allerdings nicht, weil verboten, im Hinblick auf das staatliche Haushaltsdefizit, das sich in diesem Jahr auf schätzungsweise 9,7 Billionen Dollar belaufen wird. Paul La Farge

Bliar, Subst. und liar ("Lügner")] Britischer Politiker, der eine eigenwillige Auffassung von Wahrheit hat. Lord William Kingsley Buckingsworth wandte sich mit der folgenden Bemerkung an die Versammlung: "Ich bin der Auffassung, daß man meinen sehr ehrenwerten Kollegen aus Birmingham nur als Bliar bezeichnen kann, um diesen modernen Begriff einmal zu verwenden." Ryan Boudinot

Brazilian, Verb , das Wort für Schamhaarentfernung] Die Vernichtung von überschüssigen Buschbeständen auf jede sinnvolle Weise. Ich bin sehr froh, daß wir das Land gründlich brasilianisiert haben. Ken Foster & Eric Hanson

bullshit, Subst. Etwas überprüfbar Authentisches und Wahres, das im Grunde längst bekannt sein sollte. Ursprünglich bezeichnete bullshit nur das, was es buchstäblich hieß (Kot männlicher Rinder). Mit der Zeit nahm das Wort einen negativen Klang an, und zwar aufgrund einer im 20. Jahrhundert weitverbreiteten Ansicht, wonach Bullen in Wirklichkeit nicht scheißen. Erst in der Mitte des 21. Jahrhunderts wurde bei einer wissenschaftlichen Untersuchung des Ausscheidungsapparates von Rindern festgestellt, daß die männlichen Tiere Fäkalien ausschieden, die vollständig handfest und aromatisch waren. Diese Entdeckung beschäftigte die Phantasie der Öffentlichkeit, und rasch erhielt bullshit seine jetzige Bedeutung. Eli Horowitz

burning bush, Subst. Ein dorniges Gewächs, erstmals entdeckt im alten Ägypten, letztmals gesehen am 2. November 2004. Die Einwohner jener Nation, die zum letzten Mal auf einen Bush gehört hatten, irrten vierzig Jahre in der Wüste umher. Paul Auster

bush, Verb 1. sich (besonders auf skrupellose Weise) einen Job verschaffen, für den man keinerlei Qualifikationen mitbringt; 2. einen langen und unverdienten Urlaub antreten; 3. während der Bürozeit heimlich zu Hause vorbeischauen; 4. jemanden (besonders unehrenhaft) dorthin zurückschicken, wo er herkommt. Scott Phillips

G
Geneva Convention, Subst. Großes Frühjahrstreffen von Cartoonisten aus aller Welt in Genf, dem Geburtsort von Rodolphe Töpffer (1799-1846), dem Erfinder des Bilderromans. Höhepunkt des Treffens ist ein Zeichenwettbewerb im Geiste des berühmten Töpfferschen "Versuchs über Physiognomie", in dem unter anderem erstmals vermerkt wird, daß eine Reihe einfacher Zeichen ausreicht, um Charakter und Gesichtsausdruck wirkungsvoll darzustellen. Während der Vorführung pornographischer Videoaufnahmen, die amerikanische Soldaten Anfang des 21. Jahrhunderts bei der grausamen Behandlung muslimischer Zivilisten zeigen, wetteifern die Cartoonisten um die beste Darstellung der wechselnden Gesichtsausdrücke der Zuschauer, die von Erschrecken und Entsetzen über Abscheu und Lüsternheit bis hin zu Zorn und Schmerz reichen. Der Sieger des Wettbewerbs erhält die massive Goldskulptur eines Präsidentenkopfes auf einem Teller. Art Spiegelman

Great Awakening, Subst. Im Jahr 2005 beginnende Serie von Erweckungsbewegungen in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika, die auf die sozialen, politischen und biologischen Kosten des kapitalistischen Ethos hinwiesen und eine neue Betrachtungsweise einführten, die bei allen Entscheidungen auch außerökonomische (soziale, ästhetische, ökologische) Faktoren berücksichtigten. Obwohl nach den großen religiösen Erweckungsbewegungen des 18. Jahrhunderts benannt, war die Große Erweckung von 2005 weder religiöser Natur noch auf Neuengland beschränkt. Man nimmt an, daß sie durch die politischen und ökologischen Exzesse der Bush-Administration in den Vereinigten Staaten von Amerika ausgelöst wurde, die auf allen Ebenen ein fundamentales Ungleichgewicht in den Entscheidungsprozessen erkennen ließ. Die Bewegung breitete sich mit ungeahnter Geschwindigkeit aus, zunächst im Westen, dann auch in aller Welt, und ergriff zahlreiche Menschen ohne Ansehung ihrer nationalen, ethnischen oder sozialen Zugehörigkeit. Mark Slouka

guantanamo, 1. Verb (ertragen) und der ugs. Wendung des frühen 21. Jahrhunderts no mo' (no more - nicht mehr)], nicht mehr ertragen können, unerträglich finden, sich weigern, etwas auch nur eine Sekunde länger zu ertragen; 2. Subst. ; 2a. Fegefeuer, Vorhölle; 2b. mythischer Ort, an dem der letzte Präsident, der letzte Vizepräsident und das letzte Kabinett der Vereinigten Staaten von Amerika gefangen gehalten wurden, unmittelbar nach dem Großen Aufstand, aber vor der Großen Erweckung; 3. weiträumiges Reservat für Schmetterlinge und Wildblumen auf der Karibikinsel Kuba. Ben Ehrenreich

Guestation Period, Subst. (Gast), nicht zu verwechseln mit gestation (Schwangerschaft)!] In den Vereinigten Staaten von Amerika die Zeitspanne zwischen Einwanderung und Einbürgerung; charakteristisch für diese Zeit sind die warmherzige Aufnahme, die hilfreiche Vermittlung von Terminen bei freundlichen Beamten der zuständigen Verwaltung sowie die Einladungen als Ehrengast bei nachbarschaftlichen Dinnerparties: Am Ende ihrer Guestationsperiode erfreute Sonia sich des Geburtsrechts aller Amerikaner. John Henry Fleming
H
hairlift, Subst. Internationales Programm zur Verteilung von Haarpflegemitteln an schludrig frisierte Diktatoren, Generäle, Regierungschefs und andere Staatsrepräsentanten. Schlechthaar-Weltmeister Kim Jong-il und der Zweitplazierte Newt Gingrich gewannen einen speziellen, von Herbal Essences gesponserten Präsentbeutel. Weitere prominente Figuren in der Ruhmeshalle der Schlechtfrisierten sind u.a. Idi Amin, Stalin, Hitler, George III., Ajatollah Chomeini und die Wikinger. Der klinische Psychologe Hardy Haarmann schreibt in seiner Untersuchung Vom Follikel zum Größenwahn: "Nicht, daß die Weltgeschichte einen anderen Lauf genommen hätte, wenn Mussolini mit einem moussierenden Mus behandelt oder Pol Pot poliert worden wäre. Schlechte Haare sind vielmehr sichtbarer Ausdruck eines Grundzugs des autoritären Charakters - absolute Mißachtung von Meinung, Willen oder Leben anderer." Hairlift ist ein Programm der Hoffnung gegen Hoffnung. Suji Kwock Kim

humanofuel, Subst. Von Menschen gespeiste Energiequelle, entdeckt im Jahr 2012 von Max Odzer, einem übergewichtigen, aber außerordentlich fähigen Wissenschaftler an der Universität von Ohio. Während der Fettleibigkeitsplage von 2011, die den gesamten Mittleren Westen heimsuchte, war Mr. Odzer, wie Tausende andere Personen, gesetzlich verpflichtet, ein Fitneßstudio aufzusuchen. Während er sich auf dem Laufband abrackerte, kam ihm der Gedanke, daß all diese Fitneßübungen ein enormes ungenutztes Potential enthielten. Er entwickelte daraufhin den Odzer-Generator, der in allen Sportstudios in Amerika und bald auch auf der ganzen Welt eingebaut wurde. Dieser Apparat wandelte die von den Sporttreibenden aufgewendete Energie (nach dem Prinzip der Wind-/Wassermühle) in Humankraftstoff um, der den Häusern in der näheren Umgebung Strom und Wärme lieferte und auch zum Aufladen der Batterien von Elektroautos diente. Die Welt wurde quasi über Nacht ein schönerer Ort - die Menschen waren fitter, Umweltverschmutzung und Klimaerwärmung hörten auf, der Absatz von Sportkleidung schnellte in die Höhe, und alle Leute waren gute, weil sporttreibende Bürger. Max Odzer erhielt den Nobelpreis und ist heute schlank und rank. Jonathan Ames

Human Sleeping Pill, Subst. Die menschliche Schlaftablette wurde entwickelt, um die Bevölkerung von ihrem Hunger auf chemische und andere allgemein verfügbare Schlafmittel (zum Beispiel spätabendliche Wiederholungen grottenschlechter TV-Sitcoms) abzubringen. Die H.S.P. kann man sich ins Haus kommen lassen, sie sitzt dann am Bett und geleitet einen ins Land der Träume. Das angebotene Programm besteht meist aus dem Vorlesen französischer Lyrik, dem Vorführen von Urlaubsdias und dem Singen von Matrosenliedern. Elissa Schappell
hush club, Subst. Ort der Stille. Im weitesten Sinne schalldicht eingerichtete, kommerziell betriebene Einrichtungen, in denen keinerlei elektronisch verstärkte Geräusche zu hören sein dürfen. Die ersten Hush Clubs tauchten 2015 in London und New York auf, ungefähr zwanzig Jahre, nachdem Mobiltelefone und digitale Playbackverfahren endgültig ihren weltweiten Siegeszug angetreten hatten. Drei Jahre später existierten Hush Clubs bereits in allen größeren amerikanischen Städten, allein in New York wurden mehr als dreihundert gezählt.
Obwohl Ruhe-Lounges nach wie vor die beliebteste Variante des Hush Clubs sind, gilt der Begriff auch für Hush-Supermärkte, Hush-Buchhandlungen, Hush-Sexfabriken, Hush-Kirchen und Hush-Billardsalons - für jedes private Unternehmen, dessen Kunden sich verpflichten, auf ihre Rechte gemäß dem Cellular Freedom Act 2008 und gemäß allen einschlägigen lokalen Lärmfreiheitverordnungen zu verzichten. Zu den Gründern des ersten New Yorker Hush Clubs, der Clear Head Zone, gehörte Courtney Alcorn vom Screwed Youth Movement .
Parallel zur explosionsartigen Verbreitung von Hush Clubs im ganzen Land (zwischen 2015 und 2019) wuchs der politische Einfluß dieser Jugendbewegung. In ihrem ersten nationalen Programm, das 2015 auf der Cincinnati Conference formuliert wurde, forderten die Gründer eine entschiedene Antigeräuschpolitik. "Es ist den Jugendlichen von Amerika nicht entgangen, daß die Sozial-, Militär-, Wirtschafts- und Umweltpolitik, von der wir alle betroffen sind, in den ,Tauben Jahren' formuliert wurde, in denen, wie noch der flüchtigste Blick auf TV-Bilder aus jener Zeit zeigt, junge sogenannte ,Bürger' sich mit lautstarker Musik und Handygeplapper ununterbrochen zudröhnten. Wir, die Bewegung der Betrogenen Jugend von Amerika, sind entsetzt und peinlich berührt und empört über das, was die Generation unserer Eltern uns angetan hat.
Wir rufen alle Amerikaner im Alter bis zu fünfundzwanzig Jahren auf, sich für diese Orte der Stille zu engagieren, Hush Clubs zu besuchen und überall in ihrer Umgebung solche Räume und Clubs zu gründen." Schätzungsweise vier bis fünf Prozent der US-Bevölkerung besuchen "häufig" oder "gelegentlich" Hush Clubs. Jonathan Franzen

hyperchondria, Subst. Zustand körperlicher Gesundheit, tiefen Wohlbefindens und völliger Abwesenheit von physischen oder psychischen Beschwerden; derjenige Zustand, in dem man sich supergesund oder superklasse und außerordentlich fit fühlt. In Extremfällen kann Hyperchondrie Symptom einer Selbsttäuschung sein, doch dürfte der Betreffende nicht geneigt sein, darin ein Problem zu erkennen. Lynne Tillman
I
Icelandic system, Komp. Wahrscheinlich auf ein mittelalterliches Vorbild in Island zurückgehende Praxis, Heranwachsende in andere Familien zu schicken, damit sie erwachsenes Benehmen und Verhalten von solchen Leuten lernen, die sie noch nicht zu manipulieren und zu verachten gelernt haben. Das aus Bundesmitteln geförderte Jugendaustauschprogramm betreut inzwischen fast die Hälfte aller Highschool-Schüler und soll zu einem signifikanten Rückgang der Jugendkriminalität, des Drogenmißbrauchs, der Fälle jugendlicher Schwangerschaften, jugendlicher Depressionen und rohen Verhaltens wie auch des Fernsehkonsums beigetragen haben. Katha Pollitt

indefinable, Adj. Einer Beschreibung, Einordnung oder Einreihung widerstehend. Unter den zahllosen undefinierbaren Sachen sind folgende: Liebe und Tod (die man, da sie die liebende oder sterbende Person verändert, während sie liebt oder stirbt, nicht richtig ermessen kann); Schönheit (die, wie wir alle wissen, im Auge des Betrachters liegt); der Einfluß einer Reise zum Mond auf die Persönlichkeit (obwohl solche Reisen jetzt alltäglich sind, scheint der Mensch eine Veranlagung dazu zu haben, den Augenblick der Mondlandung als unglaublich seltsam zu empfinden); Terrorismus (des einen Terrorist ist des anderen Freiheitskämpfer); der Anblick von Anton Tschechows Brille auf seinem Schreibtisch in Moskau ("unerwartete Freudenstimmung" kommt einem in den Sinn, ohne es ganz zu treffen); die Freuden des Fingermalens, vor allem mit kräftigen Farben (man frage jedes Kind); außerordentlich dichter Nebel (los, versuchen Sie einmal, außerordentlich dichten Nebel zu definieren, und dann sehen wir mal, wie weit Sie kommen); und, als letztes Beispiel, die meisten Düfte, vor allem die unserer Mütter, wenn wir uns Jahre später in einem Augenblick der Melancholie an sie erinnern möchten. Die Anzahl der Dinge, die nicht definiert werden können, überragt die der definierbaren Sachen um ein Vielfaches. Daher sind moderne Lexika offener für Undefinierbares - undurchsichtiger und schrulliger - als früher. Dafür können wir nur dankbar sein. Martha Cooley

Indefinite Future Gain, Komp. 1. (1995) Leitgedanke einer heute allgemein als erschreckend kurzsichtig und lernunfähig geltenden konservativen Sekte politischer Abweichler in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wonach gegenwärtiges Handeln oder Nichthandeln mit der Aussicht auf einen möglichen, aber nicht weiter bestimmbaren Nutzen in einer nicht weiter bestimmten oder bestimmbaren Zukunft gerechtfertigt wurde; diente der Zurückweisung von Kritik an den aktuellen Zuständen, indem man die Aufmerksamkeit auf eine "unbestimmte Zukunft" lenkte, die dem Reich des Möglichen angehörte und daher keine realitätsgerechte Kritik zuließ; ein Beispiel ist die Steuerpolitik im frühen 21. Jahrhundert, die versprach, in der Zukunft eine bessere Welt zu schaffen, indem man den Beziehern hoher Einkommen geringere Steuern auferlegte, in der Hoffnung, das Geld werde irgendwie auf nicht weiter bestimmbaren Wegen denen zufließen, die es am nötigsten brauchten, während es in der Gegenwart den Reichtum der wenigen mehrte, gegen deren trügerische moralische Rechtfertigung die vielen nicht ankamen, die sich den Arsch abarbeiten mußten, um die Krankenversicherung zu zahlen; 2. Konzept einer post-clausewitzschen Militärpolitik, die Kriege mit der Behauptung zu rechtfertigen versuchte, der Tod ganz bestimmter und genau bestimmbarer Menschen in einem aktuellen Krieg werde irgendwie und durchaus unlogisch den Tod nicht weiter bestimmter und bestimmbarer Menschen in der Zukunft verhindern; das Konzept hat Ähnlichkeit mit der "Dominotheorie" des Kalten Krieges, dessen Vokabular Anfang des 21. Jahrhunderts wiederbelebt wurde, indem man "kommunistisch" durch "arabisch" ersetzte (was die Druckkosten bei der Neuausgabe von Schulbüchern erheblich senkte). Benjamin Cohen
Integrity, Subst. Krankheit, von der führende Politiker des BAE (Benevolent American Empire - das Wohlwollende Amerikanische Imperium, früher bekannt als Vereinigte Staaten) befallen wurden, nachdem der Weltgerichtshof das Land des Versuchs für schuldig befunden hatte, die Weltherrschaft an sich zu reißen, und ihm sämtliche Massenvernichtungswaffen abgenommen hatte. Die Krankheit führte dazu, daß die befallenen Politiker nun ganz selten statt niemals die Wahrheit sagten. Mit äußerst seltsamen Folgen: Der zwanghafte Drang, die Wahrheit zu sagen, ließ diese Politiker in den Augen der Öffentlichkeit plötzlich größer erscheinen, sie gewannen an Statur und sagten Dinge, die tatsächlich etwas bedeuteten. (Die Menschen genossen den Klang der Wahrheit wie Verdurstende den ersten Schluck reinen, klaren Wassers, denn sie hatten eine wahrhaft biblische Dürre durchlebt. Kein Wunder, daß Armageddon so nahe war.)
Entdeckt wurde die Krankheit (die zu den Erkrankungen des Intellekts gehört) von einem Berufsdenker namens Illusion Brown, und zwar bei der Arbeit an einer Studie über die Physiosemiotik amerikanischer Präsidenten. Im Weißen Haus auf Integrität zu stoßen war ein Schock für alle, auch wenn sie dort nur äußerst selten auftrat. Politiker, die von dieser Krankheit befallen waren, erlebten es als lebensgefährlich, allzuoft die Wahrheit zu sagen. Ärzte entdeckten, daß allzuviel Wahrheit im Munde eines Politikers eine chemische Reaktion auslöst, die zu spontaner Selbstentzündung führen kann.
Den Berufsdenkern gab die Krankheit lange Zeit Rätsel auf. Sie wußten nicht, welche Ursachen sie hatte und wie sie sich ausbreitete. Sie fragten sich, welches bösartige Virus einen führenden amerikanischen Politiker dazu bringen konnte, die Wahrheit zu sagen. Sobald das Virus identifiziert war, sorgten jene, deren Aufgabe es war, die Führer der Nation zu führen, für die unverzügliche Entwicklung eines Gegenmittels. Bei seinen Forschungen stieß Brown auf ein geheimes Tagebuch, das eine Geheimsekretärin GWBs im Weißen Haus geführt hatte. Danach trug der Geheimdienstbeamte, der dem Präsidenten am nächsten war, stets eine Ampulle mit dem Gegenmittel für den Fall bei sich, daß der Präsident den Drang verspüren sollte, die Wahrheit zu sagen. Seltsam sei nur, so schrieb die Sekretärin, daß man das Gegenmittel in all den Jahren, die GWB das BAE regierte, nie einzusetzen brauchte. Toure

intellectiphile, Subst. 1. jemand, der die Macht des menschlichen Geistes bewundert; 2. Anhänger des Intellektophilismus, einer Bewegung, die Anfang des 21. Jahrhunderts von der kämpferischen Dichterin Iris Davidsen gegründet wurde, um "den schleichenden Anti-Intellektualismus, die groben Vereinfachungen, die ungenaue Sprache und die allgemeine Idiotie der amerikanischen Unterhaltungsindustrie zu bekämpfen". Siri Hustvedt
J
Jigsaw Theory, Subst. Der Versuch, chaotische Liebesverhältnisse und Einsamkeit wissenschaftlich zu erklären. Biogenetiker, die im frühen 21. Jahrhundert an der Kartierung des Humangenoms beteiligt waren, behaupteten, daß die DNA eines jeden Menschen von Aussehen und Funktionsweise her einem Puzzleteil ähnele. Daraus wurde die These abgeleitet, daß es für jeden Menschen eine ganz bestimmte Person gebe, die genau zu ihm passe. Diese Theorie wurde zunächst mit großer Erleichterung und Freude begrüßt, bis einer der betreffenden Wissenschaftler auf einer Pressekonferenz nähere Ausführungen zu den Konsequenzen machen sollte. "Wenn Ihre Theorie tatsächlich stimmt", fragte ein junger Student, "würde das dann nicht heißen, daß für jeden einzelnen Menschen mehrere Personen bestimmt sind? Zu einem Puzzleteil passen vier andere und zu diesen wiederum sechzehn andere und immer so weiter. Und dann?" Mit einem solchen Kreuzverhör hatten die Forscher nicht gerechnet, und da sie eine wirklich überzeugende Antwort schuldig blieben, wurden sie vom Rat für Wissenschaftliche Korrektheit vorgeladen. Ihre Theorie entpuppte sich letztendlich als Betrug und wurde aus allen angesehenen wissenschaftlichen Zeitschriften gestrichen. Brian Rogers
jobless oblige, Subst. Die Pflicht von Arbeitslosen, ihre Bewerbungsunterlagen ständig zu aktualisieren, Kenntnisse in den abwegigsten Computersprachen zu behaupten, einen oder mehrere der Kurse zu absolvieren, an denen teilzunehmen sie während ihrer Berufstätigkeit nie die Zeit hatten, sowie angemessene Arbeitslosenunterstützung (einschließlich Krankenversicherung) zu beziehen. Kevin Moffett

journaleach, Verb und leach (durchsickern lassen)] Gern praktiziertes Verfahren der Medien, einem Ereignis durch exzessive Berichterstattung jede Bedeutung zu nehmen. Ben Greenman

K
karmageddon, Subst. Höhepunkt und Abschluß des Kriegs zwischen Himmel und Hölle, der am 4.Juli 2044 christlicher Zeitrechnung (das Jahr 40 nach GWB) endete. Damals wurden die überlebenden religiösen Fundamentalisten aller Glaubensrichtungen von dem leidgeprüften Planeten, den sie beinahe zugrunde gerichtet hatten, hinweg befördert. Sie durften nicht einmal ihre Zahnprothesen mitnehmen, da an ihrem Ziel ja reicher Lohn auf sie wartete. Art Spiegelman

Kerouacaphoria, Subst. Aktiver, kreativer Gemütszustand, der sich einstellt, wenn man ohne Zwischenstopp quer über den ganzen Kontinent gerast ist und Seele wie auch Körper all die neuen Eindrücke und Erfahrungen zu verarbeiten versuchen. Kerouacaphorie ist außerdem gekennzeichnet durch die Fähigkeit, in einer Tasse Kaffee auf Transzendenz zu stoßen, sowie durch die aufwühlende, das Bewußtsein erweiternde Erfahrung, in einem engen, abgeschlossenen Raum ein intensives Gespräch zu führen, wie es außerhalb eines Autos ganz unmöglich wäre. Als Kerouackia bezeichnet man die Art, wie das Denken und Fühlen eines Menschen von der Landschaft geprägt wird, in der er aufgewachsen ist, und wie sein emotionaler oder psychischer Zustand sich durch Reisen verändert. Elissa Schappell
kincatenate, Verb (Verwandtschaft) und catenate (verketten)] Präzise Klärung der Verwandtschaftsbeziehung zwischen zwei beliebigen Personen durch einen genetischen Schnelltest. Rasche Fortschritte bei der Sequenzierung des Genoms und die weltweite Zunahme von Gendatenbanken ermöglichten im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts die Entwicklung des Kincatenators, des ersten Verwandtschaftsschnelltests der Welt. Zwei Menschen brauchten nur eine DNA-Probe abzugeben, um genau zu erfahren, ob und in welcher Weise sie miteinander verwandt waren. Anfangs war das Verfahren der kincatenation spezialisierten Labors vorbehalten und dauerte mehrere Stunden. Danach konnten die beiden Fremden in der Gewißheit auseinandergehen, daß die eine die Enkeltochter dritten Grades des Vetters zweiten Grades des Großgroßonkels des anderen war.

Der Kincatenator IV (2037), das erste erschwingliche und drahtlos transportable Modell, war ein großer wirtschaftlicher Erfolg, obwohl er so aussah und sich so anfühlte wie ein blutsaugender Joy-Buzzer. Die Kincatenation kam rasch auf der ganzen Welt in Mode. Auf der Grundlage des Verfahrens schloß man Wetten ab, es gab Gesellschaftsspiele, die damit arbeiteten, und sogar eine sehr erfolgreiche holographische Unterhaltungssendung mit dem Titel: "Wer wird Millionär an Verwandten jeden Grades?" In der Frühzeit der Kincatenation stellten viele Menschen erstaunt (und oft auch leicht enttäuscht) fest, welch enge Verwandtschaft zwischen zwei zufällig ausgewählten Personen bestand. Vor allem rassenübergreifende Kincatenationstests sorgten für so manchen Knoten in den Familienstammbäumen. Überzeugte Frömmler und Isolationisten lehnten den Test ab und bestritten, daß er wissenschaftlich fundiert sei. Anhänger der "einen Welt" wetteiferten um den Erfolg, auf jeder größeren Landmasse mindestens einen Vetter höchstens dritten Grades nachweisen zu können.
Heute ist die Kincatenation
ein einfacher und nahezu alltäglicher Vorgang, der fast so schnell und schmerzlos vonstatten geht wie das Händeschütteln. Dennoch ist das Verfahren weiterhin höchst umstritten. Manche machen es für den dramatischen Rückgang der bei Gericht eingereichten Klagen verantwortlich, der in den letzten Jahren zu verzeichnen war, ande-
re für den völligen Zusammenbruch der auf Familienfotos spezialisierten Industrie wie auch der Kirche der Mormonen. In seiner 2049 erschienenen wegweisenden Studie über Auswirkungen der Kincatenation auf die heutige Welt behauptet der Kulturhistoriker Justin Tipitakali, die überraschende Entdeckung einer engen Blutsverwandtschaft mit allen Menschen verschärfe nur die Grundströmung des Stammesdenkens in der Welt, weil sie zu einer Verengung des Maßstabs für "Verbundenheit" führe. "Jedermanns meist jungfräuliche Tanten", eine lockere Vereinigung scheuer Frauen, die eine erstaunlich enge Verwandtschaft mit Dutzenden von Staatsoberhäuptern entdeckt haben, erheben allerdings den Anspruch, allein durch den Nachweis mehr oder weniger kontinuierlicher Familienbande zwei Weltkriege verhindert zu haben. Kontrollierte Studien haben ergeben, daß zwei kincatenierte Menschen beliebigen Verwandtschaftsgrades häufiger miteinander in Kontakt stehen als nichtkincatenierte Paare, und sei es nur, weil sie sich mindestens einmal im Jahr darüber beschweren, daß der andere nicht anruft oder schreibt. Kincatenation Day (der 23. September) wird heute in aller Welt gefeiert, vor allem in Zentralasien. Das berühmte Aishi-Bibi-Familientreffen-Potlach-Essen in Astana (vormals Tselinograd, Akmolinsk und Aqmola), der Hauptstadt Kasachstans, zieht jährlich mehrere Millionen Menschen an. Bringt Butterbrote und lustige Familiengeschichten mit! Richard Powers
L
Lasagna, Subst. Gutgemeinte, aber nicht furchtbar originelle (auch verbale) Geste des Beistands für Personen in Not oder Trauernde. Politiker erscheinen oft (besonders vor Wahlen) an der Seite von Hilfsbedürfti-
gen und Notleidenden, um ihnen PML (politisch motivierte Lasagne) anzubieten. Andererseits sollten wir froh sein, wenn wir Lasagne in der Tiefkühltruhe oder jemanden in unserem Leben haben, der uns, wenn mal wieder nichts klappt, Lasagne bringt. Elissa Schappell

legal tender, Subst. Weltweite Währung, die nach dem Zusammenbruch des US-Dollar 2031 und dem Zusammenbruch des Euro drei Jahre später die internationalen Finanzmärkte eroberte. Die Währung stützt sich auf die Reserven an Zuneigung, das heißt, Waren und Dienstleistungen werden für Umarmungen und Küsse verkauft. Sue Halpern

libcon, Subst.
1. Linker, der bewahren möchte, was die "Konservativen" zerstö-
ren wollen, also etwa: Soziale Sicherheit, die kostenlosen staatlichen Schulen, die Umwelt, wissenschaftliche Objektivität, das Wohlfahrtssystem, die Gleichberechtigung der Frau, die Verfassung der Vereinigten Staaten, strategische Allianzen, den Mindestlohn, die Waffenscheinpflicht und das Verbot der Kinderar-
beit; 2. jede solche Person, die vom Fernsehsender Fox News angegriffen wird; 3. ein gefährlicher Radikaler. Charlie Baxter

limbaugh, Subst.
Eine Eigenschaft, die einer Aussage die Relevanz nimmt. Oft gebraucht, um das Paradoxon der Heuchelei kenntlich zu machen, wenn, zum Beispiel, einer den Verfall der öffentlichen Moral kritisiert und selber ein verbrecherischer Drogensüchtiger ist: Der Umstand, daß der Präsident
sich vor dem Kriegsdienst gedrückt hat, ist ein Limbaugh
für ihn, wenn er bereit ist, Truppen in den Tod zu schicken. Dave Eggers
M
maximum wage, Subst. Das 2005 eingeführte höchste zulässige Arbeitsentgelt; liegt gewöhnlich beim Sieben- bis Zehnfachen des Mindestlohns. Nick Flynn

mezuzahideen, Subst. , einer Pergamentrolle mit dem Text von Dtn 6,4-9 und 11,13-21, die an den Haupteingängen eines jüdischen Hauses angebracht wird; nicht zu verwechseln mit "Mudschahedin"!] Bezeichnung für einen amerikanischen Juden, der meint, Israel solle den Status einer Nation aufgeben und samt seinen Bürgern in die kanadische Provinz Britisch-Kolumbien umziehen. Matthew Klam

microbuggy, Subst. Extrem kleines Stadtauto, das einen Erwachsenen mittlerer Größe oder zwei überdimensionierte Vorschulkinder aufnehmen kann. Die Energie für den Antrieb des Fahrzeugs stammt von Bakterien, die in verschimmelten Lebensmitteln mit längst abgelaufenem Haltbarkeitsdatum leben (z.B. in blauem Cheddar). Der Wagen ist extrem umweltfreundlich; nachgetankt wird an den Mülltonnen in der Nachbarschaft, zwischen denen man parkt: Jugendliche, die versuchten, sich mit den Abgasen eines Microbuggy das Leben zu nehmen, verstärkten damit lediglich ihre Hyperaktivität, wurden zugleich aber auch ihre Akne los. Simon Schama

misteak, Subst. (Fehler)!]
1. Fleisch einer Kuh; 2. Rindfleisch, das von geschlachteten Tieren stammt. Jonathan Franzen

Mylarite, Subst. , einer in den 1950er Jahren erfundenen Polyesterfolie] Mitglied einer Gruppe von Ästheten, deren Credo in der Vorstellung gründet, die Zukunft solle möglichst wenig der Vergangenheit gleichen. Die kleine, aber umtriebige Bewegung, die Anfang des 21. Jahrhunderts in Südkalifornien entstanden sein soll, bemüht sich um die Wiederherstellung der maschinell erzeugten Hochglanz-Stadtlandschaften, wie sie in den 1950er Jahren beliebt waren, dann aber von der Mehrzahl der Amerikaner aufgegeben wurden. Die Mylaristen verweisen auf den ästhetischen Sündenfall der 1960er Jahre, als die damals sogenannte Gegenkultur sich dem Handgemachten, Rustikalen und angeblich Natürlichen zuwandte. Auf dem Banner der extremsten Mylaristen findet sich der Spruch: "Nieder mit den Hippies!" Weniger radikale Anhänger der Bewegung meinen, die sogenannten "Hippies" hätten aus lauteren Motiven gehandelt und durchaus bewundernswerte Ideale vertreten. Man dürfe ihnen keinen Vorwurf machen, wenn sie nicht voraussahen, daß ihre Vision von Amerika als ein Land voller Hobbitstädte mit unzähligen Töpfern, Schuhmachern und Kaleidoskopherstellern am Ende von den Großunternehmen übernommen und in den Albtraum einer Welt aus lauter falschen Americana verwandelt wurde, einer Vielzahl von Objekten und Einrichtungsgegenständen, die aus synthetischen Materialien hergestellt waren, aber den Eindruck erweckten, sie seien handgemacht, rustikal und natürlich. Als besonders schrecklich empfinden Mylaristen Dinge wie Polyesterchintz, falsche Buntglasscheiben in Restaurantketten und traditionelle Stilleben, die in Massen aus Entwicklungsländern importiert werden. Sie sind der Ansicht, diese und andere Erscheinungsformen eines "unwirklichen Wirklichseins" führten bei den Menschen zu einem Gefühl der Entfremdung, so daß manche dafür anfälligere Amerikaner durch den Tag gingen, als lebten sie in einer erdähnlichen Umgebung, die Außerirdische für sie geschaffen haben, damit sie sich wie zu Hause fühlten. Die Mylaristen meinen, wenn Synthetisches unvermeidlich sei, müsse es auch synthetisch aussehen. Sie glauben, wenn Menschen in schotenförmigen, auf Stelzen stehenden Häusern wohnten und silbrige Jumpsuits trügen, wüßten sie wenigstens, wo und wer sie sind. Michael Cunningham
N
naked space, Subst. Jeder private oder öffentliche Raum, der frei von Radio, Fernsehen, Computer, Handys usw. ist. Diese Räume, meist aus Holz oder anderen natürlichen Materialien gebaut, kamen in der zweiten Hälfte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts zunächst als Gästehäuser in entlegenen Regionen auf. Hierhin zogen sich Menschen auf Empfehlung ihrer Ärzte zurück, um dem Wahnsinn des Digitalen Zeitalters zu entfliehen. Mobiltelefone, Laptops, Scanner, Bildschirme, digitale Assistenten, Faxgeräte und dergleichen waren verboten, und bei Symptomen von Dekompression konnte man sich an ausgebildete Betreuer wenden. Diese Gästehäuser (in denen man dazu ermuntert wurde, seine Mahlzeiten selbst zuzubereiten, zu lesen, Gespräche mit anderen zu führen und live Musik zu hören) waren am Ende des Jahrzehnts derart populär, daß das Konzept auch von Restaurants, Hotels, Geschäften und Firmen sowie von Privathaushalten übernommen wurde. Mark Slouka

nearly-pain-free-break-up, Subst. Erleben zwei Menschen, die eine romantische Beziehung eingegangen sind, aus den unterschiedlichsten (meistens - aber nicht immer - idiotischen) Gründen nicht mehr zusammensein können. Jahrtausendelang passierte also immer wieder dasselbe: wenn eine Liebesbeziehung zu Ende ging, tat das weh, ganz fürchterlich weh. Dieser Schmerz stand an fünfter Stelle auf der Schmerzskala - nach 1. Dem Tod eines nahen Angehörigen, 2. Krankheit oder Verletzung, 3. Irrtümlicher Verurteilung wegen eines Verbrechens, das man nicht verübt hatte und 4. Folter oder Angriff durch eine bösartige Person. Da die Punkte 3 und 4 für die meisten Menschen aber Gott sei Dank nicht typisch waren, mußte Trennungsschmerz als echtes Problem angesehen werden. Im Jahr 2016 entstanden schließlich in Kooperation mit den Curves-Fitneß-Studios überall im Land sogenannte Trennungskliniken. Diese Einrichtungen boten Meditations-, Gebets- und Selbstmassagekurse. Man konnte auch, solange man Lust hatte, auf einem supergemütlichen Heilbett liegen und sich unter einer superkuscheligen Decke verkriechen, und auf Wunsch wurde einem ein Erwachsenenschnuller in den Mund gesteckt. Gleichzeitig wurden einem mittels kissengroßer Kopfhörer Mantras in den Kopf gepumpt, die das Selbstwertgefühl stärkten. Ein großer Durchbruch in der Trennungstherapie war die von der Klinikgründerin Susan Pearlstein veröffentlichte Entdeckung, daß die beliebte Entschuldigung "Es liegt nicht an dir, sondern an mir" tatsächlich stimmt. Nun war bewiesen, daß Trennungen nichts mit dem eigenen Selbstwertgefühl zu tun hatten, sondern mit irgendwelchen Dingen beim jeweiligen Partner. Diese Erkenntnis war eine große Hilfe, da der Trennungsschmerz zum größten Teil aus einem Gefühl des Zurückgewiesenseins herrührt. Diese Trennungskliniken helfen jedoch, mit all diesen Dingen relativ gut fertigzuwerden, und machen aus den Insassen wieder muntere, etwas freudlose, aber funktionierende Menschen. Zugegeben, jeder steckt gerade in einer Krise, aber auch das war eine der von Dr. Susan Pearlstein entdeckten Großen Wahrheiten: Wir erleben fortwährend Krisen. Dies, so wurde festgestellt, hat mit der Erdumdrehung und mit der Allgegenwart der Spirale in sämtlichen Formen des Lebens zu tun. Und so kam es, daß viele, viele Leute am Ende gemeinsam in die Heilbetten krochen, neue Romanzen entstanden, und aufs neue begann der immerwährende Kreislauf von Liebe und Schmerz, Liebe und Schmerz. Jonathan Ames

neocon, Verb, Jemanden täuschen, besonders durch falsches Alarmschlagen; Adj. Bezeichnung für derartiges Tun, wenn es begleitet wird von scheinheiligen Appellen an den Patriotismus, zum Beispiel in neocon job. Ken Kalpus

Nognocandu, Subst. Tote Sprache, einst in amerikanischen Unternehmen verbreitet, enthielt wortreiche, zeitraubende Floskeln, die letztlich völlig bedeutungslos waren, wie zum Beispiel "nach vorne schauen", "lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit sagen", "optimale Fokussierung der Synergieeffekte unserer operativen Maßnahmen". Heute steht der Begriff für Dinge, die völlig unverständlich sind. Samantha Hunt

non-America, Subst. Die Welt außerhalb der Vereinigten Staaten. Aufgrund des verbesserten Geographieunterrichts und der Beliebtheit beispiellos unkomplizierter Weltreisen kennen und lieben Amerikaner Nichtamerika fast in dem gleichen Maße, wie sie das eigene Land kennen und lieben. Noch vor nicht allzu langer Zeit war Amerikanern jedoch nur andeutungsweise klar, daß es neben Amerika noch etwas anderes gab. Laut einer 2009 durchgeführten Umfrage konnten nur vierzehn Prozent der amerikanischen Bevölkerung Nichtamerika auf der Landkarte finden, und von diesen Personen räumten 85 Prozent ein, daß es eigentlich nur Zufall gewesen sei. In einer ähnlichen Studie, die zwei Jahre später durchgeführt wurde, sollten Amerikaner nichtamerikanische Länder nennen. 89 Prozent konnten kein einziges nennen, 2 Prozent nannten "Canada Dry", und der Rest nannte entweder "Narnia" oder "Der Mond". Ed Page

O
Operation Ohio, Im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 2004 gehörte Ohio zu den besonders umkämpften Bundesstaaten, den sogenannten battleground states. Für die letzten zwei Monate vor der Wahl zog damals eine Gruppe namhafter Musiker, Schriftsteller, Künstler und Schauspieler nach Ohio. Sie arbeiteten unablässig daran, Wahlberechtigte im Alter von 18 bis 30 Jahren davon zu überzeugen, daß Wirtschaft, Erbe und Umwelt ihres Landes sich in unvorstellbarer Gefahr befanden. Durch ihren unermüdlichen Einsatz ließen sich zahlreiche Jungwähler bewegen, zur Wahl zu gehen. Dadurch errangen die Demokraten 50000 zusätzliche Stimmen, Ohio wechselte vom republikanischen ins demokratische Lager, und alle 21 Wahlmännerstimmen des Bundesstaats kamen dem Herausforderer John F. Kerry zugute. Stephen Elliott
Opulism, Subst.
1. chemisch bedingte psychische Abhängigkeit von der Gesellschaft reicher Leute. Im Zustand des Opulismus verbindet ein Mensch das Bedürfnis nach den Vorzügen des Reichtums mit einer Abneigung gegen die Arbeit, die zu dessen Erlangung erforderlich wäre. Im Jahr 2027 wurden an der University of Georgia mehrere empirische Studien über den Zusammenhang zwischen Opulismus und Selbsthaß durchgeführt: Sein Opulismus trieb ihn erst zu Exzessen und dann in den Bankrott; 2. politische Philosophie, die für eine Konzentration der Macht bei multinationalen Konzernen, beim Staat und bei Besitzern von Inseln eintritt. Der Opulismus war Ausdruck des Niedergangs im späten 20. Jahrhundert; seine Anhänger lieferten sich öffentliche Wortgefechte mit den Populisten in Neuengland und Nordkalifornien. Tom Barbash

outFox, Verb 1. seine Gegner an Unredlichkeit und Falschheit übertreffen; 2. noch viel stärker nach rechts tendieren. Ryan Harty

overdog, Subst. Mit silbernem Löffel im Mund geboren, von Goliaths Mutter persönlich gestillt. Kann dank familiärer Beziehungen Schulen mit großem Namen besuchen. Mitglied in ausgesuchten Clubs zur Ertüchtigung von Geist und/oder Körper. Zieht die Nationalgarde einem Einsatz in Vietnam vor. Tritt nicht oft vor die Presse, genauer gesagt, seltener als irgendein amerikanischer Präsident vor ihm. Macht oft Ferien. Gibt russischem Präsidenten Kosenamen wie "Putey".
Ein sehr cleverer Overdog handelt gerade dumm genug oder ist möglicherweise tatsächlich gerade dumm genug, um den Titel eines verfolgten Underdog zu erringen (siehe underdog), wodurch er sich als Mann aus dem Volk zeigt und die Zuneigung der älteren Generation gewinnt, die davon beeindruckt ist, daß Overdog kein Kokain mehr nimmt und zu Gott gefunden hat. Ist oft, aber nicht notwendig blind religiös. Psychologen zufolge war jeder Overdog einmal ein Underdog, hat jedoch innerlich eine Münze geworfen und ist zum Overdog geworden. Ein hübscher Trick, oft allerdings nur mit finanzieller Hilfe von außen zu meistern. Nach Meinung der Psychologen kommt dem gewöhnlichen Hund (siehe dog) die Rolle eines Ideals zu. Aimee Bender
P
paradoxysm, Subst. Blitzartige Erkenntnis, die es einem Menschen möglich macht, einander komplett widersprechende Auffassungen im Geist zu vereinen, ohne das Gefühl zu haben, sich für eine der beiden Positionen (weiß-schwarz, richtig-falsch, Slip-Boxershorts) entscheiden zu müssen. Statt dessen entdeckt man die Freuden der Ambivalenz, das Vergnügen daran, daß zwei wohlbegründete Ansichten an dem Abendbrottisch Platz genommen haben, den man in seinem kleinen, aber großzügigen Herzen gedeckt hat. PiaZ.Ehrhardt
paxpayers, Subst. Laut Steuerrecht können Bürger über die Verwendung der von ihnen entrichteten Abgaben bestimmen. Wer die Kategorie "nur für friedliche Zwecke im Inland" (zum Beispiel Umwelt, Bildung, Gesundheitswesen, Förderung der Künste) ankreuzt, wird gelegentlich als "paxpayer" bezeichnet. Für Gegner dieser Leute ist dieser Slang-Ausdruck ebenso abfällig wie "Öko", während er für ihre Gesinnungsfreunde genauso ehrenhaft wie "Öko" ist. Diane Ackerman

perplexion, Subst. Situation, zumeist politisch oder historisch, die jedweder Logik zu widersprechen scheint, in Wahrheit aber grundsätzliche Annahmen in Frage stellt. Beispielsweise befreit eine Nation eine andere von einem brutalen Diktator, doch die befreite Bevölkerung begegnet ihr mit Haß, Ablehnung und bewaffnetem Widerstand - die irakische Perplexion. Oder ein Präsident gewinnt die Unterstützung der Armee, obwohl er sie in einen katastrophalen Krieg führt - die Bush-Militär-Perplexion. Eine Perplexion kann von Rechten und Linken, von Reich und Arm, von Befürwortern und Gegnern, Männern und Frauen wahrgenommen (besser gesagt: erlitten) werden, aber nie gleichzeitig von allen, was wieder einmal beweist, wie wunderschön komplex das menschliche Leben ist. Ken Kalfus

pictify, Verb Bezeichnet eine Verfahrensweise (bes. die Berichterstattung in den Medien), die sich ausschließlich oder hauptsächlich auf Bilder stützt. Die Schrecken des Gefängnisalltags wurden den ganzen Monat über piktifiziert. Ben Greenman

pith helmet, Subst. Leichter, hitzebeständiger Helm, der es dem Träger erlaubt, in das Innere eines wirklich komplexen Problems vorzudringen, ohne durch gesundheitsschädliche Sonnenstrahlen, Mikrophonstimmen oder Gedanken an die Theorie von Angebot und Nachfrage abgelenkt zu werden. In zwei Farben erhältlich: braun und wirklich braun. Kevin Moffett
political literalism, Subst. Der neuartige Ansatz, Politiker für ihre Versprechungen verantwortlich zu machen, sie beim Wort zu nehmen und dafür zu sorgen, daß sie es auch halten. Die gegenwärtige Verwendung des Begriffs geht auf das Jahr 2004 zurück, als Präsident George W. - der nicht wiedergewählte - Bush in seiner vierten und allerletzten Pressekonferenz versprach, er werde "dem Irak die Freiheit bringen, ob die Iraker es wollen oder nicht, selbst wenn ich persönlich dorthin gehen und die Sache ganz allein durchziehen muß". Einige Amerikaner nahmen Bush beim Wort und schafften ihn sofort in den Irak, wo er, als er zuletzt gesehen ward, unablässig den Satz "Ich glaube an die Freiheit" wiederholte und dabei die Absätze seiner Tony Lamas zusammenknallte. Als eine Untersuchungskommission des Senats später feststellte, daß die Worte, die Bush bei der Pressekonferenz gebraucht hatte, ihm von den Politikdarstellern Donald Rumsfeld, Dick Cheney und Karl Rove eingeflüstert worden waren, wurden auch diese drei in den Irak geschafft. Der politische Literalismus führte zu einem tiefgreifenden Wandel im strategischen Vorgehen der Parteien. Zu ihrem eigenen Schutz blendeten die Republikaner bei ihren TV-Werbespots von nun an den Hinweis ein: "Achtung - Versprechungen von Kandidaten sind nicht ernst zu nehmen". Kandidaten anderer Parteien ergriffen die drastischere Maßnahme, Versprechen, die sie im Wahlkampf gemacht hatten, auch zu erfüllen. Brian Evenson

protest march, Subst. Protestmarsch] 1. Die zeitweilige Verwirrung, die eintritt, wenn die tatsächliche Realität einer Situation die Erwartungen unterläuft. Da Protestmärsche inzwischen unnötig geworden sind, bezeichnet das Wort heute jede Situation, in der eine potentiell negative Situation sich als ihr Gegenteil herausstellt. 2. Optische Täuschung aufgrund mangelhaften perspektivischen Sehens. Wer bei einem Ereignis unmittelbar vor Ort ist, hat eine andere Wahrnehmung als TV-Kameras, Behörden und Zeitungsreporter. Die Behörden gaben die Zahl der Antikriegsdemonstranten mit dreißig an. Es war ein Protestmarsch. Colson Whitehead

pubic transportation, Subst. Transportsystem, eingeführt im Jahre 2013 von der Gouverneurin von Kalifornien Angelina Jolie, um die Nutzung privater Fahrzeuge im Großraum Los Angeles durch das Angebot einer kostenlosen Beförderung in Nudistenbussen zu senken. Dieses Programm, anfänglich unter dem Namen "Jolie-Roller" bekannt, wurde bald von der nationalen Autobusgesellschaft übernommen und schließlich auch in den international operierenden Doppeldeckern eingeführt. Art Spiegelman

pulling a Lieberman, Verb Bezeichnet das Tun eines Kandidaten, der bei Wahlen insgeheim für die Opposition antritt. Viele Leute waren schockiert, als Maria ihre Bereitschaft erklärte, als Arnolds Vizepräsidentin zu kandidieren, doch bald zeigte sich, daß einer der beiden den Liebermann machte. Ken Foster
Q
Qack, 1. Subst. Kurzlebige Währungseinheit, die vor allem bei Flüchtlingen florierte. Ursprünglich war der Wert an die regionale Instabilität geknüpft: je größer die Instabilität, desto höher der Wert des Qack. Im Jahr 2006 fiel der Wert in den Keller, seither ist die Währung weitgehend in Vergessenheit geraten. 2. Adj. Wie Kot, völlig wertlos. Dave Kneebone

quadruple quotes, Subst. Satzzeichen, durch deren Gebrauch der Benutzer anzeigt, daß er einem Wort oder einer Phrase gegenüber eine nagende Skepsis hegt. 1) Skepsis über die Qualität des vom Satzzeichen umschlossenen Wortes oder der Phrase (vergleichbar dem Gebrauch einfacher Anführungszeichen). Oder 2) Skepsis, besagte Skepsis dem Leser zu enthüllen, aus Angst, der Leser könnte denken, der Autor sei ein Skeptiker, ein Pendant, ein Pessimist etc. Brian McMullen

quik, Adj. Bezeichnet eine satte, schokoladige Art, sich zu bewegen oder zu benehmen. Die Journalisten betraten den Raum alle auf einmal und steuerten quick auf die Bar zu. Andrew Leland
R
ralphnadir, 1. Subst. Der Tiefpunkt in jeder Entwicklung, der deutlich macht, daß unbedingt gegengesteuert werden muß. Der Ralfnadir des unrepräsentativen Zweiparteiensystems in Amerika führte im Jahr 2012 zur Errichtung des Allnachtparteiensystems, wie es noch heute besteht. 2. Verb Diesen Tiefpunkt herbeiführen und gleichzeitig seinen guten Ruf ruinieren. Er ralfnadierte ihre Beziehung mit der herablassenden Bemerkung, niemals das gemeinsame Bankkonto gecheneyt zu haben. Art Spiegelman

reality, Subst. Alles, was privat erlebt wird. Robert Olen Butler

rehab, Subst. Therapeutische Einrichtung, die all jene Personen, die den "Präsidenten" gewählt haben, aufsuchen müssen und erst dann verlassen dürfen, wenn sie einen gehörigen Teil der Schuld für die Jahre 2000-2004 auf sich geladen haben und bereit sind, in Zukunft öffentlich für fortschrittliche Kandidaten einzutreten. Elizabeth Crane

rumsfeld, Subst. Jemand, der Verluste in Kauf nimmt. Kurt Vonnegut
Rumsfeldian Geometry, Subst. Pseudowissenschaftliches Denkgebäude, das eher auf Spekulation und Paranoia gründet als auf Logik. Die Rumsfeldsche Geometrie war zwischen 2001 und 2004 populär und wurde sogar bei der Formulierung außenpolitischer Entscheidungen angewandt. Gilt heute als Kuriosum. "Wie wir wissen, gibt es Bekanntes, das bekannt ist. Es gibt Dinge, von denen wir wissen, daß wir sie wissen. Es ist auch bekannt, daß es Dinge gibt, die unbekannt sind. Das heißt, wir wissen, daß es Dinge gibt, die wir nicht wissen. Es gibt aber auch unbekannte Dinge, die unbekannt sind, also Dinge, von denen wir gar nicht wissen, daß wir sie nicht wissen." (Donald Rumsfeld, Pentagon-Pressekonferenz, 12. Dez. 2002) Daniel Handler

Rumsfeldian question, Subst. Rhetorische Frage, eingeführt von Donald Rumsfeld, die der Fragesteller selbst beantwortet. Diese Methode dient dazu, nicht zugeben zu müssen, unrecht zu haben. Etwa: Ist Demokratie ein dreckiges Geschäft? Ganz klar. Gibt es schlechte Menschen auf der Welt? Aber selbstverständlich. Bin ich ein unbelehrbarer Trottel, dessen Mangel an Weitsicht Millionen Dollar und Tausende Menschenleben kostet? Aber gewiß doch. John Warner
S
secularity blanket, Subst. 1. kleine Decke oder ein anderes weiches Tuch, oft bestickt mit einem Porträt von Noam Chomsky, an das Atheisten oder Agnostiker sich gerne schmiegen, die es versäumt haben, sich nach dem American Religious Resurrection Act aus dem Jahr 2012 registrieren zu lassen; 2. Bezeichnung für alles, was einem Menschen das Gefühl der Sicherheit vor und Freiheit von fundamentalistischer oder absolutistischer Unterdrückung gibt. Gary Shteyngart

secularity deposit, Subst. Pfandgeld oder Kaution, die ein Atheist oder Agnostiker seinem Vermieter zahlt, wenn er es versäumt hat, sich nach dem American Reli-
gious Resurrection Act aus dem Jahr 2012 registrieren zu lassen und deshalb die Gefahr besteht, daß man ihn inhaftiert und alle seine weltlichen Güter einzieht. Gary Shteyngart
semi-flaccid money, Komp. Eine Form von Wahlkampfspenden, die eingeführt wurde, um die für hartes und weiches Geld verfügten Beschränkungen zu umgehen, die das im frühen 21. Jahrhundert verabschiedete McCain-Feingold-Wahlkampfspendenreformgesetz vorsah. Halbweiche Geldspenden waren danach in unbegrenzter Höhe möglich, sofern der begünstigte Kandidat bereit war, sich dreimal im Kreise zu drehen und dabei wie ein beckenschlagender Affe in die Höhe zu springen. Die Praxis wurde jedoch als verfassungswidrig und als Beleidigung für beckenschlagende Affen eingestuft und schließlich ersetzt durch das Warum-ist-uns-das-nicht-schon-früher-eingefallen-Wahlkampfspendengesetz, wonach Wahlkampfspenden zulässig sind, sofern zugleich ein Geldbetrag gleicher Höhe für öffentliche Schulen und Gesundheitseinrichtungen gespendet wird. John Warner

serpico Adj. In schließlich unwidersprochener Anerkennung der Schurkenhaftigkeit des Charakters aus dem Sidney-Lumet-Film von 1973, dargestellt auf schlicht transzendentale Art von Al Pacino, post-"Der Pate", Ausdruck von Zärtlichkeit und Respekt für eine ähnliche schurkenhafte Person, die ihr Haar trägt, wie sie will, und/oder mit Models feiert und/oder Gedichte liest und/oder im Polizeibezirk Ballett tanzt, während sie gegen jemanden kämpft. Benjamin Cohen

seven dollar socialist, Subst. Ein meist in wohlhabenden, liberalen Städten wie San Francisco beheimateter Aktivist, der sich dank eines hohen Einkommens den Luxus rabiater liberaler Anschauungen leisten kann. Beispiel: ein ein Ipod tragender, Jetta fahrender, Tomaten aus biologischem Anbau essender Demonstrant, der ein Plakat mit der Aufschrift "Sozialismus jetzt!" schwenkt, während er bei Bi-Rite ansteht, um sich ein Sieben-Dollar-Sandwich zu kaufen. Noah Hawley

sex, Subst., Verb, Adj., Adv. Alles ist Sex. Es gibt nichts, was nicht Sex wäre. Bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein bezeichnete man als Sex nur das Eindringen des männlichen Penis in die weibliche Vagina. Der Ausdruck wurde schnell auch auf andere Aktivitäten wie Oralsex und Analsex ausgedehnt. (Man konnte Sex haben, ohne Nachkommen zu zeugen.) Sex war flexibel und umfaßte bald noch mehr Dinge: Aktivitäten zwischen mehr als zwei Menschen auf einmal, zwischen einem Menschen und ihm oder ihr selbst, oder auch zwischen niemandem. In gewisser Weise war es schön, daß Sex alle Arten körperlichen Begehrens und Ausdrucks großzügig umarmte. Sex wurde zum Verb ("Sex doch mal das Telefon für mich"), zum Adjektiv ("Dieses Hemd ist so sex") und sogar zum Fragewort (Sex?). Doch zu einem bestimmten Zeitpunkt - manche Wissenschaftler sagen, um die Mitte des 21. Jahrhunderts - hatte Sex zu viele Bedeutungen angenommen und begann, seine Bedeutung zu verlieren. Damit ging das Wort den Weg, den so viele Wörter unserer Sprache gegangen sind - Computer, Amerika, Kunst: von nutzlos zu schön zu nutzlos. Sex sex. Sex? Sex! Jonathan Safran Foer

sloudge, Subst. Stunde der Analyse, meist in Nachrichtensendern, unmittelbar nach Sondersendungen, auch breaking news genannt, also nach Vorfällen, die sich gerade ereignet haben und in der Regel (wenn auch nicht immer) dem Credo der Nachrichtensender folgen: "Je mehr Tote, desto mehr Quote." Sloudge findet meist an blankgeputzten Tischen statt, an denen übergewichtige weiße Männer sitzen und über Dinge wie die liberale Verschwörung, das Haushaltsdefizit oder die isolationistischen Tendenzen des Revisionismus reden. Sloudge-Experten haben Anfang des 21. Jahrhunderts Millionen von Dollar verdient, allerdings nicht damit, daß sie ihr Doppelkinn im Fernsehen schwabbeln ließen, sondern mit Vorträgen und Büchern. Nach der Pressekonferenz des Präsidenten folgten mehr als drei Stunden Sloudge auf MSNBC und sechs Stunden auf Fox-TV. Stephen King

smoking jacket, Subst. Locker anliegendes, zeltförmiges, mit einer gläsernen Haube versehenes Kleidungsstück, das mit starken Luftfiltern und einem 250 Meter langen, aufrollbaren Abgasschlauch ausgerüstet ist und Rauchern den Aufenthalt in Restaurants und anderen öffentlichen Versammlungsräumen ermöglichen soll. Art Spiegelman

squawkback, Subst. Papageienhafte Wiederholung einer Frage durch den Antwortenden. Diesem Verhalten geht immer eine Lüge voraus. Das squawkback gestattet es dem Befragten, die Frage demonstrativ anzuerkennen, und schenkt ihm zugleich eine Denkpause, in der er sich eine weitere Lüge überlegen kann. Die gestellte Frage kann in nachdenklichem oder ungläubigem Ton wiederholt werden. Beispiele: "Habe ich das gewußt? Hmmm ..." "Hat das meine Entscheidung beeinflußt? Nun ..." "War das ein Fehler? Hmmm ..." Paul Collins

T
talkies, Subst. Filmische Darstellung einer Geschichte, in der Menschen gezeigt werden, die miteinander sprechen und einander nicht umbringen. Das Wort war in den ausgehenden 1920ern mit dem Aufkommen des Tonfilms noch eine Weile gebräuchlich, wurde aber aus dem Oxford English Dictionary gestrichen, nachdem das Zeitalter des Stummfilms mehr oder weniger in Vergessenheit geraten war. Ab 2022 kam dann die offizielle Bezeichnung killies auf, da es in jedem Film ums Töten ging. Doch im Jahr 2033 begannen radikale Filmemacher kleine Untergrundstreifen zu drehen, in denen die Menschen tatsächlich miteinander sprachen und in denen Schußwaffen, überhaupt Waffen jeder Art verboten waren. Für diese formal äußerst strengen Filme wurde wieder die Bezeichnung "talkies" eingeführt, wenn auch mit leicht abgewandelter Bedeutung. Früher bedeutete das einfach "hörbares Sprechen", während es heutzutage eine komplett (pazifistische) Weltanschauung beinhaltet. Um 2054 waren diese Filme schließlich so populär, daß sie die "Killies" als führendes Filmgenre ablösten. Jonathan Ames

telerally, 1. Subst. Ein technisches Verfahren, das es Menschen ermöglicht, sich zu Tausenden via Internet und hochentwickelter Hologrammtechnologie an einem (oft winzig kleinen) Ort zu versammeln, ohne ihren Arbeitsplatz verlassen zu müssen. 2. Verb In dieser Weise zusammenkommen, sich fernversammeln. Mit Hilfe eines sorgfältig plazierten Maulwurfs waren die Studenten in der Lage, sich an Bord von Airforce One, die auf dem Weg nach Miami war, auf dem Steak des Präsidenten fernzuversammeln. Ken Foster

terrarism, Subst. Die breite Bewegung, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts als Antwort auf den katastrophalen "Krieg gegen den Terrorismus" entstand. Wirklich erfolgreich wurde diese Bewegung, die den endlosen Kreislauf der Gewalt durchbrach, nachdem auf der ganzen Welt Gruppen von Gleichgesinnten ihren Kampf für eine gerechtere Verteilung und Bewahrung der globalen Ressourcen aufgenommen hatten und damit dem Terrorismus das Terroir entzogen. terrarists, Subst. Umweltaktivisten, Gewerkschaftler, Ärzte, Lehrer, Wissenschaftler, Sozialarbeiter, Journalisten, Künstler und Schriftsteller und in seltenen Fällen auch Rechtsanwälte, die ihre Aufgabe darin sehen, Partikularinteressen zu überwinden und für das Wohl der ganzen Welt zu arbeiten.
Art Blumenkind Spiegelman, Minister für Positive Propaganda

Theory Delusion, Subst. Eine im ausgehenden 20. Jahrhundert verbreitete, inzwischen diskreditierte Ansicht, wonach Vergnügen und Schmerz untrennbar miteinander verbunden sind. Lucia Perillo

truespapers, Subst. Printmedium, erscheint gewöhnlich einmal, in manchen Fällen auch mehrmals am Tag. Enthält meist Informationen über aktuelle Ereignisse, Besprechungen und Veranstaltungshinweise, Anzeigen für BHs und Schlankmacher, Kommentare und Comics und verschafft dem Leser schmutzige Hände, was bekanntlich auf einen Deal mit der Seifenindustrie zurückzuführen ist. Im Jahr 2009 wurde ermittelt, daß 83 Prozent aller Zeitungsmeldungen falsch waren. Die zutreffenden 17 Prozent fanden sich ausschließlich in den Klatschspalten und im Sportteil mit den Ergebnissen und Tabellen, wenngleich später herauskam, daß die Ergebnisse allesamt abgesprochen und die Spiele nichts anderes als aufwendig inszenierte Betrügereien waren. Korrekt war nur die eigentliche Übermittlung der Ergebnisse. (Es erwies sich, daß der ganze Sport eine betrügerische Veranstaltung geworden war, nachdem niemand mehr den Streß ungewisser Resultate ertragen konnte.)
Als sich zeigte, daß in den Zeitungen nur die Unwahrheit stand, wurde der sogenannte Honestizer erfunden. Alle Zeitungen wurden durch diesen hochentwickelten Entsafter geschleust, wahre Berichte und Meldungen auf synthetischem Weg hergestellt. Um hervorzuheben, daß die Öffentlichkeit nunmehr die Wahrheit zu lesen bekam, hießen Zeitungen ab 2010 nicht mehr "newspaper", sondern ganz offiziell "truespaper". Leider fanden die Leute diese neuen Blätter ausgesprochen langweilig, und der Absatz ging rapide zurück. Andererseits wurde nicht mehr soviel Holz verarbeitet, so daß es zu einer merklichen Reduzierung der Klimaerwärmung kam. Alles in allem also eine positive Entwicklung. Jonathan Ames
U
ultimato, Subst. Letzte Aufforderung an ihn, zu erklären, warum er immer noch nach den süßesten Trauben greift, was er natürlich bestreitet, woraufhin ich ihm eine Tomate an den Kopf werfe, die ihn aber verfehlt und an der Küchentür landet, wo sie einen häßlichen Fleck aus Samenkörnern und rotem Fruchtfleisch hinterläßt, den jemand anders wird wegwischen müssen, wahrscheinlich Belladonna. Er steht nur da und redet mir meinen Verdacht nicht aus. Ich kann nur zur Haustür hinaus und mich im Park auf eine Bank setzen, weil ich meine Autoschlüssel auf dem Küchentisch vergessen habe und es zu früh ist, zurückzugehen und die Dinge durchzuarbeiten. Pia Z.Ehrhardt
underdog, Subst. Frühere Bezeichnung für einen Unterprivilegierten, für den David in einem Team aus lauter Goliaths, für unseren verzweifelt kämpfenden Helden. Heute ist die Bedeutung in ihr Gegenteil verkehrt. Im May 2003 schrieb Karl Rove im "New Yorker": "Noch nie ist ein Republikaner als Vertreter des Establishments ins Rennen gegangen. Die Kandidaten unserer Partei haben immer nur gewonnen, wenn sie als Champion des kleinen Mannes erschienen (!), nicht als Vertreter der Großen." An dunklen Tagen kann ein Overdog das Publikum täuschen und sich als Underdog präsentieren (siehe overdog). Dem Publikum ist das oft ganz recht, weil ein Underdog für den durchschnittlichen Middledog auch abstoßend sein kann. Der Arme, der Kranke, der Analphabet, der Schmutzige, der Veteran des Vietnam- oder Irakkriegs - sie alle werden verachtet. Wer möchte schon mit einem wirklichen Underdog zu tun haben, außer im Kino, wo wir des guten Ausgangs sicher sein können? Natürlich, wir laden gern arme, kranke, blutende Menschen zu uns ein, aber nur in der Hoffnung, daß sie sich in stählerne Athleten verwandeln, die uns dieses tolle Gefühl vermitteln.
Hüten Sie sich vor der Underdog-Manipulation! Sie ist so hinterhältig. Welche unendliche Freude macht es uns, Menschen zu helfen, denen es schlechtgeht, aber tief in uns spüren wir, daß sie eigentlich Eroberer sind. Gerade deshalb haben wir die Vietnamveteranen gehaßt. Sicher, sie waren Soldaten, sie waren Amerikaner, sie waren Underdogs. Aber sie haben nicht gesiegt. Und wenn man nicht siegt, ist man kein Underdog, sondern einfach nur ein Verlierer. Aimee Bender

use, Subst. Maßeinheit für Nutzen. In der Effizienzbewegung der späten 2020er Jahre versuchte man, den Nutzen jeder Tätigkeit, Sache oder Person auf einer Skala von eins bis zehn zu bewerten (zum Beispiel Sex und Essen zehn, Bücher und platonische Freundschaft drei). Das führte schließlich zur Festlegung einer einheitlichen, bundesstaatlich verordneten "Nutzenhierarchie", die darauf zielte, alles, was einen Wert unter fünf erreichte, zu eliminieren. Ehen wurden geschieden, Kinder zur Adoption freigegeben, Ernährungsgewohnheiten umgestellt, Häuser abgerissen und Bücher in entlegene Bereiche dunkler Depots verbannt. Schließlich wuchs die Sorge über den willkürlichen Charakter solcher Bewertungen, und eine Gruppe von "Fünfern" (mit Bewertungen von fünf oder darunter) stand auf und protestierte, Zigaretten und Bücher in der Hand, auf einer Reihe lautstarker, chaotischer, aber überraschend wirkungsvoller Demonstrationen. Am Ende gab die Regierung nach und erlaubte den Menschen wieder, selbst über Nutzloses und Nützliches zu entscheiden. Brian Rogers
V
Verizonitis, Subst. Bezeichnung für die mysteriösen Todesfälle, die im Jahr 2010 auftraten. Autofahrer wurden mit kurz zuvor eingeschaltetem Mobiltelefon tot am Steuer ihrer Fahrzeuge aufgefunden. "Verizonitis" war der umgangssprachliche Ausdruck für das Virus autocellobilia, das wirksam wurde, wenn der Autofahrer sein Mobiltelefon benutzte. Zur tödlichen Attacke der Viren kam es, sobald der Motor abgeschaltet wurde. Autocellobilia gilt weithin als Retterin der Menschheit. Padgett Powell

W
wankerzone, Subst. Ort, an dem Hardcore-Liberale und Hardcore-Konservative einander schwere Kissen um die Ohren schlagen können. Diese gepolsterten und mit lustigen Hindernissen versehenen Zonen wurden eingerichtet, damit jemand, der ganz entschiedene Ansichten vertritt, sich einen anderen suchen kann, der mit derselben Entschiedenheit die entgegengesetzten Ansichten vertritt, um eine heftige Kissenschlacht mit ihm zu veranstalten. Die Einrichtung der Zonen wurde mit Steuermitteln gefördert, weil sich herausstellte, daß alle in der einen oder anderen Weise davon profitierten, entweder durch den Unterhaltungswert solcher spirituellen Kissenschlachten oder durch den Rückgang politischer Bemühungen, anderen Menschen per Gesetz vorzuschreiben, wie sie sich zu verhalten haben. Nach einem anständigen Kampf in der Wichserzone werden die Duellanten aufgefordert, sich gemütlich zusammenzusetzen und ein nettes Gespräch zu führen. Arthur Bradford

watt, Verb 1. Fragen nach der Zukunft mit dem Hinweis abtun, es werde keine Zukunft geben; nach James Watt, ehemals Innenminister unter Präsident Ronald Reagan, der auf die Frage, ob er der Ansicht sei, man solle sparsam mit den natürlichen Ressourcen umgehen, um sie für zukünftige Generationen zu erhalten, in einem Kongreß-Hearing antwortete: "Ich weiß nicht, mit wie vielen zukünftigen Generationen wir rechnen können bis zur Wiederkehr des Herrn"; 2. zahlreichen Menschen durch geheimnisvoll klingende, religiös inspirierte Anspielungen auf das Ende der Welt Angst einjagen: George Bush wattete ganz schön, als er auf Bob Woodwards Frage, wie die Geschichte ihn in Erinnerung behalten werde, die Antwort gab: "Die Geschichte? Das werden wir nie erfahren. Wir werden alle tot sein." Noah Hawley

wind-truck, Subst. Vielrädriges Fahrzeug zum Transport von Wind. Als die amerikanischen Städte zur Windenergie übergingen (aber vor der Erfindung künstlichen Winds), transportierte man mit diesen Fahrzeugen Wind aus atmosphärisch turbulenten Gebieten (wie Texas oder Maine) in windarme Regionen (wie New Jersey). Die riesigen Windlaster (für deren mehrere hundert Reifen man allein schon Hunderte Kubikmeter Luft benötigte) öffneten ihre Tanks wie gewaltige Mäuler und sogen den Wind ein. In langen Kolonnen fuhren sie dann den Wind dorthin, wo er benötigt wurde, und luden ihn in der Nähe von Windparks ab. Die Fahrer der Windlaster trugen spezielle Uniformen, wie sie einst die Flugzeugpiloten getragen hatten, als die Leute noch flogen. Der Windlaster brauchte drei Tage, um den Wind herbeizuschaffen, der in drei Minuten verbraucht wurde. Jonathan Safran Foer


wolfowish, Verb/Subst. Hoffnung auf etwas äußerst Unwahrscheinliches. Darauf zu hoffen, die Bewohner von Sadr City würden die amerikanischen Panzerwagen mit Rosenblättern und Schokolade begrüßen, war - im Rückblick gesehen - wohl ein ausgesprochener Wolfowunsch. Eric Orner

word washer, Subst. Gerät zur Reinigung
der Sprache, das im Jahr 2024 von Eli Maytag (Pseudonym für das Word Washing Collective WWC) erfunden wurde. Obwohl die für die Wortwäsche erforderliche Technologie erst im dritten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends zur Verfügung stand, findet sich der Gedanke der Sprachreinigung schon lange vorher, etwa bei Konfuzius ("Wie man einen Staat am besten regiert? Indem man zunächst die Sprache korrigiert..."), George Orwell ("...der Niedergang unserer Sprache ist wahrscheinlich heilbar") und dem Folksänger Dan Bern ("Ich träume von einer neuen amerikanischen Sprache"). Das literarische Werk von John Ashbery und das von Gertrude Stein gelten gemeinhin als die ersten Prototypen einer Wortreinigungsmaschine. Die ersten Modelle
des WWC-Wortwaschers konnten jeweils nur ein Wort nach dem anderen reinigen. Das erste vom WWC gereinigte Wort war das Adjektiv "revolutionär", das sich nach dieser Behandlung nicht mehr im Zusammenhang mit Joghurt, der Frühjahrsmode oder freizeitfreundlichen Automobilen benutzen ließ. Als nächstes wusch das WWC "Demokratie" und "Freiheit", fand aber heraus, daß diese Wörter sehr schnell wieder schmutzig wurden und eigentlich täglich gewaschen werden mußten, wenn sie nicht schon am nächsten Tag wieder zur Rechtfertigung von Flächenbombardements und medizinischen Embargos benutzt werden sollten. Spätere Modelle (wie der WW 2100-T und der WW 2200-X) setzen wirksamere Reinigungsverfahren ein, die dafür sorgen, daß Wörter länger sauber bleiben. Das aktuelle Modell (der RadWash 4000) ist in der Lage, Euphemismen, tote Metaphern, Wahlkampfslogans und beschönigende Namen für Kriege zu waschen. Das WWC hat sich zum Ziel gesetzt, einen Wortwascher zu bauen, der ganze Dokumente reinigen kann. Zum Beispiel die amerikanische Verfassung. Oder die Bibel. Chris Bachelder
X
Xoltroft, Subst. Dieses Kombinationspräparat (Antidepressivum-Amphetamin-Dissoziativum) wurde von der US-Armee in den frühen 2050er Jahren entwickelt, um Kampfbegeisterung unter den reichen, fetten, modebewußten und pazifistischen Rekruten zu wecken. Das Mittel war bald allgemein erhältlich und avancierte zur beliebtesten legalen Droge der 2060er. Xoltroft vermittelt dem User das Gefühl, aus fünf Roboterlöwen zu bestehen (beziehungsweise in einigen Fällen aus fünfzehn Roboteraufklärungsfahrzeugen) und das Universum verteidigen zu müssen. Andrew Leland

xyloscone, Subst. 1. Eßbares Musikinstrument, bestehend aus mehreren abgestuft großen Rosinenbrötchen, zu Dreiecken geschnitten, ausgehöhlt und oft glasiert, die meist mit Marzipanhämmern geschlagen werden. 2. Jedes Nahrungsmittel, das durch Modifizierung oder Bespielen zu einem Musikinstrument gemacht wird. 3. Verb Mit Nahrungsmitteln musizieren. Brian McMullen
Y
yardcroppers, Subst. Entrechtete Gruppe von Menschen, die sich dem 2023 beschlossenen Gartenvereinigungsprogramm nicht angeschlossen haben, in dessen Rahmen zwischen den Wohnhäusern riesige Schwimmbecken, Baseballplätze und Klettergerüste gebaut wurden. Die Kleingärtner hielten an ihren antiquierten Zäunen fest und ließen sich so die Chance auf kostenlose Kinderbetreuung, ein erweitertes soziales Netz und die heilsame Ruhe entgehen, die man nur in einem Zengarten findet. Karen Leibowitz

your-forties-are-actually-your-thirties, Subst. Altersgruppe. Ursprünglich war ein Mensch in den Vierzigern auch tatsächlich ein Mensch in den Vierzigern. Doch dann entdeckte man im Jahr 2013 plötzlich einen Fehler im modernen Kalender. Wie bei einem gewaltigen Tageslichteinsparungsprogramm durften nun alle Menschen, die in den Vierzigern waren, zu den Dreißigern zurückkehren. Und Menschen in den Fünfzigern waren tatsächlich erst in den Vierzigern, Menschen in den Sechzigern tatsächlich erst in den Fünfzigern und so weiter. Darüber waren alle sehr froh, weil alle sich doch immer schon gewünscht hatten, zehn Jahre jünger zu sein. Außerdem verlängerte sich dadurch das Leben, und niemand brauchte in Rente zu gehen, wenn er es nicht wollte. Das taten auch manche, aber ziemlich viele taten es nicht. Aufgrund einer mathematischen Anomalie waren Menschen in den Dreißigern auch weiterhin in den Dreißigern, aber das machte ihnen nichts aus, und dasselbe galt für die Twens, Teenager und die Kinder. Jonathan Ames
Z
Z Der erste Buchstabe des Neuen Alphabets. Wurde auf der ersten Vollversammlung der Neuen Welt von 2025 dazu ausersehen, weil "dieser Buchstabe", so Generalsekretär Amafi Utufo, "in seiner Bewegung zugleich vorwärts und rückwärts gerichtet ist und auf diese Weise an die Schatten der Vergangenheit und an die glanzvollen Möglichkeiten der Zukunft erinnert". Die Einführung des Neuen Alphabets, das Elemente aller Sprachen enthält, wurde von der Jugenddelegation bei der ersten Vollversammlung der Neuen Welt als "Symbol und zur Förderung der internationalen Harmonie, Kooperation und kulturellen Einzigartigkeit" angeregt. Laird Hunt

zerobrand, Adj. Für Kleidungsstücke oder andere Verbrauchsgüter, die weder Label, Logo, Designerkennzeichen noch irgendeine andere sichtbare Markenidentifikation aufweisen. Syn.: unabhängig, original, mysteriös, essentiell, emotional und seelisch gefestigt. Katha Pollitt






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